Montag, 15. Oktober 2012

Alles anders

Sawubona ihr Lieben,
die letzten Wochen war hier viel los – oder auch gar nichts.
Mittlerweile sind wir sechs Freiwillige, innerhalb von zwei Wochen sind noch Sarah, Anka und Sina dazugekommen.
Bei mir hat sich unterbewusst ziemlich viel Unzufriedenheit breitgemacht, irgendwie ist jeder Tag wie der letzte und der folgende verlaufen. Mir hat die Arbeit hier nicht wirklich Spaß gemacht und die Motivation, sich zum Lernen mit den Kindern aufzuraffen, hat immer weiter abgenommen.
Zunächst hab ich meinen Weg aus der Unzufriedenheit heraus in einem Autokauf gesehen. Die Aussicht auf komplette Mobilität und freies Reisen an den Wochenenden hat uns dazu bewegt, uns einen kleinen (leider) schwarzen Opel Corsa zu kaufen: sein Name ist Hugo und er macht sich gut bei uns in der eigentlich leeren Garage. Aber da sollte er nicht länger bleiben.

Vor zwei Wochen haben Sarah, Franzi und ich uns zu einem Trip nach Potchefstroom aufgemacht. Dort leben ca. 25 deutsche Freiwillige, die alle über die gleiche Organisation wie ich nach Südafrika gegangen sind und von denen ich einige schon mehr oder weniger gut vom Vorbereitungsseminar kannte.
Wir hatten dort eine echt entspannte Zeit, hatten tolles Wetter, viele Möglichkeiten zum Aus- und Weggehen, zum abendlichen Billiard und Kicker zocken. Gleichzeitig war in der Stadt noch ein afrikaanses Festival, was uns die weiße Kultur Afrikas noch mal mehr verdeutlicht hat. Um ehrlich zu sein, bekommen wir von der hier in Greytown eher weniger mit, worüber ich nicht unbedingt unglücklich bin. In manchen Teilen Potchs hab ich mich gefühlt wie in Amerika, was mich doch ein bisschen überrascht hat. Natürlich war mir klar, dass die afrikaanse Kultur (sehr) westlich ist, und die Mall-Kultur hab ich auch schon kennen gelernt (Ich bin kein Fan) aber diese Highschool, Sunnyboy, Protz Atmosphäre hat mich teilweise echt angewidert. Vor allem wenn man mitbekommt, wie herablassend und nebensächlich teilweise mit den Schwarzen umgegangen wird. Da muss man sich immer wieder von Augen führen, wer hier eigentlich zu erst da war...
Wir haben uns jeden Falls viele schöne mehr oder weniger afrikanische Sachen kaufen können und jedes Mal wenn ich um 50 Eurocents gefeilscht habe, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Aber das gehört halt auch hier dazu.
Nachdem ich nun von den ganzen anderen Leuten von ihren Projekten gehört habe, hat sich bei mir ziemlich große Frustration breit gemacht. Zwischendurch wollte ich am liebsten in Potch bleiben und einfach nicht zurück nach Greytown. Natürlich sind auch nicht alle anderen Projekte perfekt und einige haben auch ihre Probleme, aber was für mich bei allen gleich klang war: Abwechslung und Herausforderung in der Arbeit. Beides hatten wir nicht.
Mein größtes Problem war einfach, dass unsere einzige Aufgabe darin bestand, mit einzelnen Kindern zu lernen, und das jeden Tag und so keine Zeit hatten auch mal Spiele mit den Kindern zu spielen oder irgendwelche Aktivitäten zu machen (außer in den Ferien, aber die sind ja nun mal nicht so häufig und die können wir gut nutzen, um zu reisen). Und so hatten wir auch kaum Möglichkeiten eine persönliche Bindung zu den Kiddis aufzubauen. Wir sind zwar in den verschiedenen Häusern aber immer nur 1 bis 1.5 Stunden am Tag, weil wir nach dem Abendessen wieder Study haben. Zwar versteht man sich in der kurzen Zeit immer mit ein paar Kindern besonders gut aber nach drei Tagen ist man wieder im nächsten Haus und man sieht die Kinder kaum mehr, vielleicht mal im Vorbeigehen auf dem Weg zum Study.

Also war unsere Herausforderung nun, Abwechslung in unsere Arbeit zu bringen. Sarah, Franzi und ich kamen also nach einer Woche zurück und haben den anderen erst mal verkündet, dass wir gerne was ändern wollen. Als nächstes mussten wir mit Pieter reden. Es kam mir schon ein bisschen komisch vor, ihm vorzuschlagen, einfach mal alles anders zu machen, aber er hat unsere Vorschläge gut gefunden und so konnten wir zwei Tage später mit unserem Programm anfangen.
Mit Hausmutter Isabel und Toddlers bei einem Ausflug
Nach wie vor machen wir eine Stunde am Tag Study mit den Toddlers. Aber das sehe ich auch als echt sinnvoll an, weil die einfach Spaß dran haben, die Zahlen und Buchstaben zu lernen und mit denen spielen wir ja auch immer mal wieder Spiele, kneten oder lesen vor. Und man merkt, wie sehr es die Kleinen genießen, eine „eigene Aunty“ zu haben, die für sie da ist. Mein kleiner Study-Junge freut sich immer riesig mich zu sehen, was einem schon das Herz erwärmen kann.
Danach haben wir 1.5 Stunden Activity-Hour, in der wir meistens mit zwei Gruppen Spiele spielen. Leider musste das bisher wegen schlechtem Wetter in die Hall verlegt werden, aber normalerweise können wir dann draußen einfach Gruppenspiele spielen. Aber es macht echt Spaß und man merkt auch, wie sehr die Kiddis da Spaß dran haben und wir bekommen endlich mehr Bezug zu ihnen. Ab dieser Woche werden Sarah und ich noch zwei Mal die Woche für eine dreiviertel Stunde Englischunterricht für die Kinder anbieten, die zusätzliche Hilfe brauchen.
 
Badespaß beim Ausflug
Danach machen wir auch kein Einzel-study mehr, sondern gehen in die Häuser, um dort zu helfen. Von 4 Uhr bis 5 Uhr werden nämlich in allen Häusern nach Grades sortiert mit der jeweiligen Hausmutter Hausaufgaben gemacht. Wir dachten uns, dass eine Gruppe von 15 Kindern mehr von uns hat, als zwei aufmüpfige Jungs, die es ein bisschen ausnutzen, dass sie extra Aufmerksamkeit bekommen. Meine Jungs waren da auch so ein Spezialfall, aber auch die anderen saßen oft einfach nur neben ihren zwei Kindern, denen sie helfen sollten, weil die das teilweise auch gut alleine hinbekommen haben. Jeder von uns hat jetzt ein Haus, in das er jeden Tag geht und lernt somit auch immer mit der selben Gruppe von Kindern, was auf jeden Fall guten Bezug herstellt. Teilweise ist es echt anstrengend, weil die Kiddis ganz oft gar nichts auf haben und die Hausmutter nicht sooo viel macht. Ich denk mir dann immer Aufgaben aus, was auch eigentlich echt gut klappt. Wenn ich sie mir ausdenke, machen sie sie total gerne und wollen immer mehr, was mich dann in ein kleines organisatorisches Problem bringt: ausdenken, erklären, korrigieren, noch mal erklären, noch mal ausdenken, korrigieren...Aber es macht Spaß und die Kiddis wollen was lernen.

Letzte Woche war ich mal wieder im Highschool Jungen Haus eingeteilt. Am zweiten Abend stand plötzlich ein Lehrer von einer Schule bei denen im Gemeinschaftsraum. Als ich gefragt habe, was der hier macht, hat Annah, die Hausmutter, mir erklärt, dass er selber im Kinderheim aufgewachsen ist und dass er mit den Jungs reden wird, weil die momentan einige Probleme machen. Er hat sich dann vor die Jungs gestellt, und ihnen fast eine halbe Stunde eine „Moralpredigt“ gehalten. Ich kann mir vorstellen, dass bei ein paar Jungs nichts davon angekommen ist, weil sie es eben als solche gesehen haben, aber ich glaube, bei ein paar ist etwas ins Rollen gekommen. Vor allem ging es darum, dass die Jungs mehr wie eine Familie handeln und sich gegenseitig und vor allem der Hausmutter gegenüber mehr Respekt schenken sollen. Auch wurde die Study-Time angesprochen, die die Jungs wohl überhaupt nicht nutzen. Ich hab mir dann gedacht, dass wir als Volunteers da eigentlich helfen sollten. Die älteren Jungs wurden bei unserem ganzen Lern-Hilfe-Programm irgendwie immer vollkommen außen vor gelassen. Uns wurde anfangs gesagt, Abends-Study ist nur mit den Highschool Mädels und erst nach Nachfrage durften auch ein paar Jungs dazu kommen. Aber auch nur 5, während die Mädels zu 10. auftauchen. Da wir das aber immer im Wechsel nur zu dritt machen und zwei von uns Abends immer frei haben, dachte ich mir, frage ich Annah mal, ob sie Hilfe für die Lernzeit mit den Jungs braucht. Vor allem hab ich an die Matricler gedacht, also die, die Ende dieses Jahres ihren Abschluss machen. Sie hat mir sofort einen Jungen genannt, der mit Mathe nicht klar kommt. Also hab ich mich gemeinsam mit ihm hingesetzt und er braucht echt einiges an Hilfe und schreibt schon in 3 Wochen seine Abschlussarbeit. Mich ärgert das total, weil ich schon relativ am Anfang meiner Zeit hier seinen Namen im Bezug auf spezielle Hilfe gehört habe. Aber René, die Frau vom Heimleiter, die hier fürs Study zuständig ist, hat gemeint, sie habe ihm angeboten, nachmittags in den Computer Raum zu kommen, um dort zu lernen. Sie hat da nachmittags immer eine Study-Gruppe von 1. und 2. Klässlern und gleichzeitig dürfen immer noch ca. zehn Kinder an den Computern Spiele spielen. Er hat das wohl abgelehnt, und deswegen meinte sie, er würde eh nur sagen, er braucht Hilfe, um extra Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber René hat da nachmittags absolut gar keine Möglichkeit und Zeit, sich mit ihm hinzusetzen, um ihm zu helfen. Aber er braucht halt genau jemanden, der ihm gezielt hilft und mit ihm den Stoff durchgeht und ihm das alles erklärt. Und er will auch was lernen und sagt selber, er mag Mathe nicht, aber er ist bereit, jeden Tag so lange wie möglich mit mir zu lernen. Wir haben bisher jeden Tag jeder ca. sechs Kinder gehabt, mit denen wir einzeln gelernt haben und teilweise wurde das von den Kindern ausgenutzt und teilweise gar nicht gebraucht. Pieter meinte auch zu uns, dass es bei den Kleinen weniger ums Lernen geht, als darum, dass sich jemand gesondert mit ihnen beschäftigt. Alles schön und gut. Aber warum wurde mir zunächst verweigert, denjenigen zu helfen, die in ein paar Wochen die Schule abschließen und die Hilfe grade am meisten brauchen und sie vor allem dankend annehmen. Ich hab anfangs schon gefragt, ob wir dem Jungen nicht helfen sollen, dann meinte sie, nein, er würde das nicht zu schätzen wissen. Ich hab mich jetzt fast jeden Tag mit ihm getroffen und selbst an einem Sonntag hatte er kein Problem, drei Stunden zu lernen. Seine Hausmutter meinte zunächst, sie müsse René fragen, aber ich glaube, es macht in manchen Fällen Sinn, Eigeninitiative zu zeigen und einfach mal zu machen, was wir für sinnvoll und nötig halten und nicht, was die Heimleitung denkt.
Letztlich hab ich jetzt mehr Arbeit und gebe teilweise meine freie Zeit dafür her. Aber es macht Spaß und ich hab das Gefühl, dort grade wirklich gebraucht zu werden und dass meine Hilfe ankommt. Das Gefühl hat mir in den letzten Wochen hier definitiv gefehlt. Das Projekt baut einfach nicht auf Freiwillige auf, weil die immer in verschiedener Länge und Anzahl da sind und wir so nicht in geregelte Abläufe mit eingeplant werden können. Aber ich bin froh, dass wir einen Weg gefunden haben, uns in unseren Augen sinnvoll mit einzubringen und dass ich nun auch das Gefühl gefunden habe, Kontakt zu den Kindern zu haben, auf dem ich aufbauen kann. 

Bei einem Besuch einer Löwenfarm
Ein weiterer Punkt, der mich hier gestört hat, war, dass wir eigentlich überhaupt nicht aus dem Kinderheim raus kamen. Wir haben hier keine Möglichkeiten abends irgendwas zu machen, weil es einfach zu gefährlich ist und wir in die Taverns hier nicht gehen können. Greytown ist einfach eine Kleinstadt und so beschränkten sich unsere Ausflüge bisher aufs Einkaufen im Supermarkt und im Drugstore und aufs Laufen gehen im Park. Im Township waren wir bisher fast nie unterwegs.
Also hab ich mich entschieden, zwei Mal die Woche vormittags in einer Schule im Township arbeiten zu wollen. Wir haben vormittags ja immer frei und hängen hier eh meistens nur herum. Sarah fand die Idee auch gut und so sind wir letzte Woche mit dem Fahrer des Kinderheims durchs Township gefahren und haben in verschiedenen Schulen angefragt, ob sie Hilfe bräuchten.
Wir waren zunächst in zwei Vorschulen, die mit Unterrichten nichts am Hut zu haben schienen. Die Kinder saßen alle auf einem Haufen, mit sich selbst beschäftigt, die „Lehrerinnen“ daneben. In einer der beiden Schulen, waren die Kinder in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine sich selbst überlassen in einem kleinen Raum, die andere schlafend in einem anderen Raum; die Lehrerin hat sich auch eine kleine Schlafpause gegönnt. Ich glaube, irgendwann werden die beiden Gruppen einfach getauscht, bis alle nach Hause gehen. Beiden Schulen haben uns zwar angeboten, für ein Meeting mit den jeweiligen Schulleitern wieder zu kommen, aber wir hatten nicht das Gefühl, dass sie wirklich für uns etwas zu tun gehabt hätten, zudem wahrscheinlich niemand Rücksicht auf Englisch genommen hätte.
Manche mögen denken, das schreit ja nur danach, dass man da hin geht und versucht, mit den Kindern wirklich was zu machen, ihnen was beizubringen und sie sinnvoll zu beschäftigen. Aber wenn solche Hilfe nicht gewollt wird, sollte man das lieber lassen.
Also sind wir noch zu einer Primary School gefahren, also eine Schule für Klasse 1 bis 7. Der Schulleiter dort, hat uns direkt für den nächsten Tag eingeladen: Wir sollten beide in Grade 7 helfen, Sarah im Englisch- und ich im Matheunterricht.
Mein erster Tag dort lief wirklich gut und mir ist die südafrikanische Gelassenheit mehr den je verdeutlicht worden. Als ich dann bei dem mir zugeteilten Lehrer in der ersten Mathestunde war, hab ich natürlich meine Hilfe angeboten. Die sah dann so aus, dass ich Aufgaben an die Tafel schreiben und mal kurz alleine bleiben sollte, er komme gleich wieder. Bis zum Ende der Stunde ist er dann nicht wieder aufgetaucht und so hab ich meine erste Mathestunde alleine abgehalten. Das hat sich in der zweiten Stunde dann wiederholt, nur dass er am Ende der Stunde nicht wieder kam, und ich die Stunde alleine beendet und die Klasse dem nächsten Lehrer überlassen habe. Aber es hat alles geklappt, die Kinder haben sich super benommen, sie finden es glaube ich, ziemlich aufregend, dass eine Weiße sie nun unterrichtet.
Auf die Schule gehen nur schwarze Kinder und auch die Lehrer sind schwarz. An sich scheint die Schule gut organisiert und sie ist einem verhältnismäßig gutem Zustand. Aber wie gesagt, die Südafrikanische Gelassenheit wird einem direkt deutlich. Mit dem Beginn und Ende der Stunden wird es nicht so genau genommen. Eigentlich geht eine Stunde 60 Minuten, aber da werden schnell mal 90 Minuten draus und irgendwie taucht auch nie ein anderer Lehrer auf, der die Klasse übernehmen will. Grade 7 hat drei Klassen, die nicht jeweils einen Klassenraum zu haben scheinen. Aber irgendwie scheinen weder Schüler, noch Lehrer jedes Mal so wirklich zu wissen, in welchem Klassenraum jetzt welche Klasse welches Fach hat.
Mir macht es total Spaß dort zu sein und ich genieße die andere Art von Kontakt zu Kindern sehr. Die Arbeit im Kinderheim macht mit den Veränderungen nun zwar wesentlich mehr Spaß als zuvor, aber in die Arbeit in der Schule unterscheidet sich sehr und bringt noch Mal eine neue Herausforderung. Das unterrichten macht mir echt Spaß und scheinbar bekomme ich das mit der neuen autoritären Rolle auch ganz gut hin: nach 1.5 Stunden Mathe wollte eine Klasse letzte Woche gerne noch weitere 1.5 Stunden von mir alleine unterrichtet werden. Natürlich ist kein Lehrer aufgetaucht und hat sich gewundert, warum seine Klasse grade von jemand außer regulär unterrichtet wird...

Salakahle meine Freunde!!